
Aymeric Chauprade – Bildquelle: frontnational.com
Aymeric Chauprade ist außenpolitischer Berater von Marine Le Pen und Delegationsleiter des Front National im Europäischen Parlament; er war zuvor Professor für Geopolitik an der französischen Kriegsakademie (1999 bis 2009) und Professor an der Universität Neuchâtel/Neuenburg.
Diese Studie erschien unter dem Titel La Russie, obstacle majeur sur la route de «l‘Amérique-monde» in der Zeitschrift Géostratégiques, Ausgabe Nr. 24 vom Juli 2009.
Die Übersetzung ins Deutsche für freies-oesterreich.net darf nur unter Anführung der vollständigen URL rebloggt werden.
[Fortsetzung von gestern]
Nach dem Verschwinden der UdSSR wurde es den USA klar, dass eine andere kontinentale Macht aufgrund der Kombination ihrer demographischer Masse und ihres industriellen Potentials das Projekt der American World gefährdet: China. Der großartige industrielle und kommerzielle Aufstieg Chinas gegenüber Amerika erinnert an die Situation Deutschlands am Vorabend des Ersten Weltkrieges, als es die angelsächsischen Thalassokratien eingeholt und übertroffen hatte. Dies war auch die Hauptursache für den Ersten Weltkrieg.
Wenn China an die erste Stelle unter den Weltmächten vorrückt, indem es Wirtschaftswachstum und geopolitische Unabhängigkeit kombiniert und zugleich sein konfuzianisches Modell gegenüber dem westlichen Demokratismus aufrecht erhält, so denken die amerikanischen Strategen, dann wäre dies das Ende der American World. Die Amerikaner müssten dann auf ihr seit 1845 hochgehaltenes Prinzip der „offensichtlichen Bestimmung“ (Principle of Manifest Destiny) (1) und auf den Messianismus ihrer fundamentalistisch-bibelgläubigen oder freimaurerischen Gründerväter verzichten.
Die amerikanischen Strategen stellten daher, kaum dass die Sowjetunion zusammengebrochen war, neue Überlegungen an, wie man den Aufstieg von China hinanhalten könne.
Zweifelsohne erkannten sie dabei die Aktualität der Argumentation Mackinders. Die Angelsachsen hatten das eurasische Projekt der Deutschen und danach jenes der Russen zerstört; jetzt müssten sie noch jenes der Chinesen zu Fall bringen. Wieder einmal möchte also das Meer das Festland bezwingen.
Der „humanitäre Krieg“ und der „Krieg gegen den Terrorismus“ sollten nunmehr als Vorwände dienen, um die wirklichen Ziele des neuen großen eurasischen Krieges zu verschleiern: China war das Ziel des Kampfes, Russland jedoch die Voraussetzung, um den Kampf zu gewinnen.
China war das Ziel, da China als einzige Macht in der Lage war, Amerika im Verlauf der nächsten zwanzig Jahre in materieller Hinsicht zu überholen. Russland war die Voraussetzung, da seine strategische Ausrichtung die Organisationsform der Welt von morgen – unipolar oder multipolar – weitgehend bestimmen wird.
Gegen China bedienten sich die Amerikaner einer neuen globalen Strategie, die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt (2):
- Die Erweiterung des transatlantischen Block bis an die Grenzen Russlands und bis westlich von China.
- Die Kontrolle der Energieabhängigkeit Chinas.
- Die Einkreisung Chinas durch Schaffung oder Stärkung von Bündnissen mit den traditionellen Gegnern des Reichs der Mitte (Inder, Vietnamesen, Koreaner, Japaner, Taiwanesen, …).
- Die Schwächung des Gleichgewichts zwischen den großen Atommächten durch die Entwicklung des Anti-Raketen-Schildes.
- Die Ausnützung von Separatismen (in Serbien, Russland, China und bis hin zu den Grenzen Indonesiens) und die Neugestaltung der Landkarte (im arabischen Nahen Osten).
Washington glaubte nach dem Jahre 1990, auch Russland auf seine Seite ziehen zu können, um einen großen transatlantischen Block von Washington bis Moskau bilden zu können, der dann die bereits seit dem Zusammenbruch Europas 1945 atlantisierte europäische Peripherie mitumfasst hätte. Es war ein stehender Satz von George Bush dem Älteren, der bereits im Jahr 1989 zur Schaffung einer Allianz „von Wladiwostok bis Vancouver“ aufgerufen hatte; es ging dabei im Fazit um die Organisierung der weißen Welt unter der Schirmherrschaft von Amerika, einem Land, von dem paradoxerweise – gemessen an seiner eigenen Ideologie – hieß, dass es im Jahr 2050 nicht mehr überwiegend weiß sein würde.
Die Erweiterung des transatlantischen Blocks spielt beim großen Spiel um Eurasien die erste Rolle. Die Amerikaner haben nicht nur die NATO nach dem Verschwinden des Warschauer Paktes beibehalten, sondern ihre Rolle sogar noch gestärkt: erstens ist die NATO vom klassischen Völkerrecht abgegangen (militärische Intervention nur im Fall von Aggression gegen einen verbündeten Mitgliedsstaat) und hat sich ein Eingriffsrecht zu eigen gemacht. Dies wurde beim Krieg gegen Serbien im Jahr 1999 deutlich, als die NATO erstmals vom Völkerrecht abwich. Zweitens hat die NATO die Länder Mittel- und Ost-Europas als Mitglieder aufgenommen. Auf diese Weise kamen der Ostseeraum (die baltischen Länder) und weite Bereiche Ex-Jugoslawiens (Kroatien, Bosnien, Kosovo) in den Einflussbereich der NATO. Zum weiteren Ausbau der NATO und um die Schlinge um Russland weiter zuzuziehen, haben die USA die Farbrevolutionen (Georgien 2003, Ukraine 2004, Kirgisistan 2005) geschürt, wobei es sich zunächst um gewaltlose politische Umwälzungen handelte, welche von amerikanischen Stiftungen und NGOs finanziert und unterstützt wurden, um vor Ort anti-russische Regierungen zu installieren. Kaum an der Macht, trat der pro-westliche ukrainische Präsident schon für den Abzug der russischen Flotte aus den Krim-Häfen und für den Eintritt seines Landes in die NATO ein. Auch der georgische Präsident hatte ab 2003 den Beitritt seines Landes zur NATO im Programm und verlangte den Abzug der russischen Friedenstruppen, welche seit 1992 den Schutz der abchasischen und südossetischen Bevölkerung gewährleisten sollten.
Am Vorabend des 11. September 2001 hatten die USA dank der NATO Europa bereits im Würgegriff. Sie stützen den bosnischen und albanischen Islam und verdängten Russland aus dem Balkanraum.
Während der ersten zehn Jahre nach dem Kalten Krieg war Russland selber ständig US-amderikanischen Avancen ausgesetzt. Oligarchen, denen russische nationale Interessen oft fernlagen, hatte sich seinen Ölreichtum untereinander aufgeteilt und pro-amerikanische liberale Berater umgarnten Präsident Jelzin. Russland wurde in den Tschetschenien-Konflikt verstrickt, der weitgehend von den Amerikanern selbst geschürt wurde, wie dies im übrigen bei so gut wie allen islamistischen Auswüchsen der Fall war. Die Welt schien sich langsam aber sicher der amerikanischen unipolaren Weltordnung zu unterwerfen.
Dennoch gab es im Jahre 2000 ein wichtiges Ereignis, vielleicht das wichtigste seit dem Ende des Kalten Krieges (und wichtiger noch als 11. September 2001): die Machtübernahme durch Wladimir Putin. Eine jener Umwälzungen der Geschichte, welche diese in der Konsequenz zu ihren Grundlagen zurückführt und ihre Konstanten deutlich macht.
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(1) de.wikipedia.org/wiki/Manifest_Destiny
(2) Chauprade, Aymeric: Géopolitique - constantes et changements dans l’histoire. Éditions Ellipses, 3. Auflage 2007.
[Fortsetzung morgen]